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Ricky Whittle aus "American Gods" im Interview

Shadow Moon – ein Name wie ein Versprechen: Ricky Whittle spielt in der Neil-Gaiman-Serienadaption des Bestsellers "American Gods" (ab 1. Mai auf Amazon Prime Video) die charismatische Hauptfigur. Für den Engländer (* 31. 12. 1981 in Oldham) ist es nach der Briten-Soap "Hollyoaks" (2006 – 2011) und dem Fantasy-Hit "The 100" (2014 – 2016) die dritte Serie.

Doch Amercian Gods nimmt so offensichtlich eine Sonderstellung für ihn ein, dass er uns mit seiner positiven Energie regelrecht an die Wand bläst. Als wir Whittle in einem Bonner Hotel treffen, ist er glänzend gelaunt. Er trägt ein einfaches weißes Shirt, bequeme Hosen und ein LA-Dodgers-Cap. Er lacht viel, die Stimmung ist gelöst. Der Mann scheint durch und durch glücklich zu sein. Wir wollen doch mal sehen, wie er einem Fan des American Gods-Romans entgegentritt:


Ich hab das Buch drei Mal gelesen.

Drei Mal? Wie hast du das geschafft? Ich hab's einmal gelesen und ich brauchte sieben Monate dafür! Vielleicht sollte ich dich interviewen und du sagst mir, was ich machen soll.

 

Wann hast du es gelesen?

Ich habe während des Vorsprechens für die Rolle angefangen es zu lesen. Aber die Produzenten Michael Green und Bryan Fuller baten mich darum, es zur Seite zu legen, weil mein Spiel sich sehr an den Shadow aus dem Buch orientierte. Ich dachte eigentlich, das sei ein Kompliment…

 

Aber?

Aber sie brauchten eine Adaption von Shadow, die ins TV passt. Shadow ist im Buch sehr stoisch, lethargisch und still. Er führt viele innere Monologe.  Man will aber keinem Mann jede Woche dabei zusehen, wie er denkt. Das ist langweilig. Also haben wir Shadow mehr Farbe gegeben. Er spricht die Dinge aus, statt über sie nachzudenken. Wenn ihn seine Umgebung verwirrt, fragt er seinen Boss Mr. Wednesday (gespielt von Ian McShane), was vor sich geht. Im Buch dagegen macht er alles mit sich selbst aus.

 

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Zum Beispiel?

Es gibt da einen sehr schönen Moment im Buch: Wenn Shadow seine tote Frau Laura trifft. Er sagt "Ich werde meine Frau immer lieben - tot oder lebendig – ich werde nie Angst vor ihr haben". Aber im echten Leben… Wenn meine tote Frau an meinem Bett in einem Hotelzimmer sitzen würde, würde ich durchdrehen und aus dem Fenster springen!

 

Wie lernen wir Shadow kennen?

Er startet als Ungläubiger, als Zyniker. Er ist ein "Shadow", ein Schatten, seines früheren Selbst. Er verliert seine ganze Welt durch den Verlust von Laura. Wenn wir ihm zum ersten Mal begegnen, ist er eine leere Schale. Wie im Buch sehen wir auch in der Serie alles durch Shadows Augen. Er fängt da an, wo auch das Publikum beginnt. Erst wenn Shadow Dinge sieht, beginnt auch das Publikum zu verstehen. Shadow fragt sich: "Werde ich verrückt, oder ist die Welt verrückt?" Aber es gibt ein Erwachen. Auf der Reise dahin folgt ihm das Publikum.

 

In einer Szene sieht man das Foto eines Penis…

Das hat dich schockiert? Bei all dem Blut und dem Irrsinn? Und da warst von einem Penis schockiert? In der Serie frisst eine Frau einen Mann mit ihrer Vagina auf und du bist von dem Smartphone-Screenshot eines Penis geschockt?

 

Nun ja... Wie denkst du über die blutige und irrsinnige Grundgeschichte von American Gods? Die alten Götter wie Odin kämpfen gegen neue Götter wie Medien und Technik.

Wie gesagt, sehen wir die Serie durch Shadows Augen und folgen seiner Reise: Shadow begegnet als erstes Mr. Wednesday (Odin). Der ist nun gegen die neuen Götter. Was aber wäre, wenn Technical Boy oder Media zuerst mit Shadow gesprochen hätten? Wäre dann Mr. Wednesday der Böse? Es ist für Götter okay, nebeneinander zu existieren. Nur weil du an deinen Gott glaubst, heißt das nicht, dass mein Gott nicht echt, oder weniger mächtig ist.  Es geht darum, was einen durch den Tag bringt. Ist es ein Gott, dein Telefon, deine Lieblingsserie oder ist es der Mensch, den du liebst, ein Hobby, Jesus, Buddha… Was immer du brauchst um durch den Tag zu kommen, ist wichtig. Glaube nur an irgendetwas!

 

Hattest du viele Szenen vor Green-Screen?

Ja, und es war das erste Mal für mich. Total verrückt! Vor Green Screen spielt sich alles nur in deinem Kopf ab. Der Regisseur ruft: "Da ist ein Berg aus Totenschädeln. Und da ist ein Büffel, hinter dem Baum." Man guckt gerade aus vor sich. Da sagt er: "Nein, er ist zu deiner Linken!" Dann guckt man eben da hin. Aber man fühlt sich geisteskrank dabei, weil man mit einem Ding spielt, das gar nicht da ist. Da musst du Regisseur und Produzent vertrauen, dass sie dich nicht dumm aussehen lassen.

 

Und, wie waren die fertig bearbeiteten Szenen?

Wunderbar! Die Szenen sind größer und spektakulärer, als ich sie mir je hätte vorstellen können. Die phantastischen Elemente der Serie hätten 2001, als das Buch erschien, noch nicht umgesetzt werden können. Erst jetzt ist der perfekte Zeitpunkt.

 

Der perfekte Zeitpunkt auch was die Themen anbelangt?

Momentan wird in diesem erhitzten politischen Klima, das vor allem in Amerika herrscht, viel über Einwanderung, Homophobie, sexuelle Ausrichtung und Religion diskutiert. Neil Gaiman war mit American Gods seiner Zeit voraus. Wir haben im November 2016 die Arbeit an der Serie beendet. Also noch bevor Trump Präsident wurde. Und wir machen dem Publikum all diese Themen bewusst, die jetzt im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen. Das macht unsere Serien-Handlung sehr relevant.
     

Ist das der Hauptgrund, warum sich die Leute die Serie ansehen sollten?

Der Hauptgrund, warum sie gucken sollten? Weil ich großartig bin! (lacht) Hey, das meine ich ernst, ich bin fantastisch! Ganz ehrlich: Es ist die beste Sendung, die man sich im TV ansehen kann. Ian McShane ("Mr. Wednesday") ist herrlich. Yetide (Yetide Badaki, "Bilquis"), Bruce (Bruce Langley, "Technical Boy"), Gillian Anderson ("Media"), Crispin Glover ("Mr. World"), Kristin Chenoweth ("Easter") und Peter Storemare ("Czernobog") sind meine Idole. Dazu kommen mit Bryan Fuller und Michael Green zwei geniale Geister, die in der Kombination mit Neil Gaiman zu einem wunderbaren Dreigestirn werden.

 

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"American Gods" ist doch größtenteils Fantasy, oder?

Da ist für jeden was dabei. American Gods ist einerseits ein Buddy-Roadtrip zwischen Shadow und Mr. Wednesday. Andererseits eine wunderschöne Liebesgeschichte zwischen Laura und Shadow. Und dann ist da dieser fantastische Krieg. Und die Serie ist ein Thriller. Eine Enthüllung folgt auf die nächste. Gerade wenn man denkt, man weiß, was vor sich geht, muss man in eine andere Richtung denken. Das machen wir wieder und wieder.


Sind Deine Kollegen ähnlich euphorisch?

Oh ja! Sogar Ian McShane schrieb mir noch zwei Wochen nach dem ersten Screening "Die Serie ist überwältigend". Und das von Ian McShane, der sagt: "'Game Of Thrones' besteht nur aus Titten und Drachen!". (lacht) Wir sind alle schon mehr als bereit, um zum Dreh der zweiten Staffel zurück zu kehren...  

 

Es wird schon eine zweite Staffel geplant?

Oh ja, die Serie wird sehr lange laufen, sie hat das Potential. Wir haben in der ersten Staffel gerade mal die ersten hundert Seiten eines 600 Seiten dickes Buches verfilmt.

 

Über sechs Staffeln?

Sechs UND darüber hinaus! Es gibt so viel zu erzählen!

 

Magst du es, an Serien zu arbeiten?

Ja und nein. Ich mag Filme, weil sie kurz sind. Wenn du deine Rolle gespielt hast, verlässt du sie wieder und gehst frisch an die nächste heran. Für eine Serie musst du eine Figur wachsen lassen, sich in sie verlieben. Auch der Zuschauer investiert in eine Serien-Figur mehr, weil er mehr Zeit mit ihr verbringt. Das Gute an "American Gods" ist, dass die Geschichte auf einem Buch basiert und ich weiß, wo Shadow hingeht. Für mich war also der größte Spaß, herauszufinden, wo er beginnt.

 

Außerhalb der USA startet "American Gods" auf Amazon Prime Video. Ein Vorteil?

Streaming-Dienste strahlen Serien in 200 Ländern aus.  Ich wusste noch nicht mal, dass es so viele gibt! Ich könnte vielleicht hundert davon benennen – an einem guten Tag. Aber 200? Das ist schon irre. Eine wunderbare Sache.

 

Bist du aufgeregt?

Ich bin sehr aufgeregt. Es gab Fans, die sagten "Ich liebe das Buch, ich liebe Shadow, verkack's nicht!" Aber: Neil Gaiman liebt die erste Staffel. Dann müssen sie die Fans auch lieben. Die Stärke der Serie ist ihr Cast. Zwei Wochen bevor Mr. Wednesday besetzt wurde, sagte meine Mutter: "Weißt du, wer ein guter Mr. Wednesday wäre? Ian McShane!"

 

Im Ernst? Deine Mutter und du habt die Besetzung vorausgeahnt?

Ja, weil sie zu den Charakteren so verdammt gut passen. Selbst, als ich gecastet wurde, sagten sie "Ja, der sieht genau aus, wie Shadow aussehen sollte".

 

Stehst du auch jetzt noch unter Druck?

Nein, ich will jetzt jedem zeigen, was wir gemacht haben. "American Gods" ist die vielleicht härteste Serie, die ich je gedreht habe. Sieben Monate mit völlig verrückten 18-Stunden-Tagen. Aber das kümmert dich nicht, weil du weißt: Es war all das wert! Das ist eine Monster-Serie!

 

Interview: Melanie Kroiss

Fotos: Amazon Prime Video / STARZ